Von Wahrnehmung und Vorurteilen
In unseren westlichen Breitengraden ist Schwarz die Farbe der Trauer. Die Assoziation einer Farbe ist allerdings immer auch abhängig davon, in welcher Form sie auftritt. Wenn Sie beispielsweise zu Ihrer spontanen Meinung nach schwarzer Spitzenunterwäsche befragt werden, dann ist Ihr erster Gedanke wohl kaum ein trauriger. Genau gleich verhält es sich mit einem schicken schwarzen Abendkleid. In dieser Form wird der Farbe Schwarz gar eine positive Eigenschaft zugesprochen – nämlich das Kaschieren unliebsamer Fettpölsterchen.
Der Gedanke an eine schwarz gestrichene Wand hingegen löst vielfach Unmut aus. Dabei verhält es sich mit der Wand eher wie beim schwarzen Abendkleid. Wir kaschieren unliebsame Stellen. Warum wir das jedoch nicht erkennen, scheint einfach erklärt zu sein – wir betrachten die Farbe Schwarz bei der Entscheidungsfindung für eine Wandgestaltung selten in einem räumlichen Kontext. Sondern verlassen uns auf kleine Papiermuster.
Schwarz braucht Weiss – Weiss aber auch Schwarz
Das Licht in einem Raum wird durch die Pigmente der Wandfarbe gefiltert und moduliert. So hat jede Farbe eine eigene Wirkung auf Licht, Raum und Form. Dunkle Farben absorbieren einen Grossteil des einfallenden Lichts, während Weiss das Licht und die Helligkeit verstärkt. Erst das Zusammenspiel heller und dunkler Farbtöne entfaltet eine wunderbare Wirkung, die einen Raum grösser oder kleiner erscheinen oder Konturen und Flächen stärker hervortreten oder verschwinden lässt.
Ein komplett weiss gestrichener Raum ist heute der Klassiker schlechthin. Und bereitet der Farbenfachfrau Katrin Trautwein oftmals Bauchweh. Denn die masslose Anwendung von Weiss sei genauso falsch, wie ein komplett Schwarz gestrichenes Wohnzimmer. Weiss reflektiert das Licht und ist in einer grossen Menge anstrengend für unser Auge. Oftmals nehmen wir in einem grossen Raum zuerst nur eine weisse Fläche wahr, bevor wir überhaupt fähig sind, uns auf die Objekte im Raum zu konzentrieren. Wandübergänge und architektonische Feinheiten gehen gänzlich in der Weissflut unter.
Künstler, welche dieses Phänomen begriffen haben, präsentieren ihre Werke niemals auf einem weissen Hintergrund – sondern stets auf einem dunklen. So tritt die Wand in unserer Wahrnehmung automatisch zurück. Das Kunstwerk und dessen Farben scheinen davor zu leuchten.